Monday, September 30, 2019

Österreich hat gestern gewählt, und die politische Krise 2019 geht in eine neue Phase

In Österreich fand am Sonntag (gestern) ein nationales Wahlsonntag statt, um einen neuen Nationalrat zu wählen.

2019 war ein ungewöhnliches Jahr in der Geschichte der Zweiten Republik Österreichs (1945-heute). Die Regierung von Bundeskanzler Sebastian "Basti" Kurz ist erstmals in der Zweiten Republik durch ein Misstrauensvotum abgesetzt worden. Basti wurde im Dezember 2017 Kanzler an der Spitze einer Koalition aus der Mitte-Rechts-ÖVP und der rechtsextremen FPÖ, die 1955 von reuigen Ex-Nazis für reuige Ex-Nazis gegründet wurde und es nie geschafft hat, über ihre ideologischen Wurzeln hinauszukommen.

Hier sind die Ergebnisse (NR-Wahl 2019) im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Nationalratswahlen und den diesjährigen EU-Parlamentswahlen.


Basti zog es im Wahlkampf eindeutig vor, eine neue Koalition mit der FPÖ zu bilden, um ihre pro-oligarchische, einwanderungsfeindliche Politik von 2017-19 fortzusetzen. Der Auftritt der FPÖ am Sonntag hat dies deutlich unwahrscheinlicher gemacht. Mit ihren aktuellen Schwierigkeiten wird die FPÖ stark versucht sein, ihre Unterstützung aufzubauen, indem sie in der Opposition bleibt und ihr einziges wirkliches Thema an dieser Stelle verfolgt, Angst und Hass gegenüber Einwanderern, mit populistischen Haltungen, die von der Wirtschafts- und Sozialpolitik, die sie tatsächlich unterstützen, verfälscht sind.

Die Grünen feierten ein dramatisches Comeback, nachdem sie 2017 die Parlamentsvertretung nicht gewonnen hatte, weil ihre Stimmen unter 4 % fielen. Das lag zum Teil daran, dass es eine abgespaltene Partei namens Jetzt gab, die Parlamentssitze erhielt. Doch die stimmenhabende Stimmen der Grünen von 8,2% im Jahr 2017 auf 16,2% im Jahr 2019.

Numerisch gibt es drei mögliche Koalitionsoptionen: eine Neuauflage der ÖVP-FPÖ-Koalition ("türkis-blau"); ÖVP-SPÖ ("türkis-rot"); ÖVP-Grüne ("türkis-grün"). Aber die tatsächliche Bildung einer neuen Regierung wird besonders schwierig sein. Die derzeitige Regierung ist eine "Expertenregierung" unter der Leitung von Österreichs erster Bundeskanzlerin Birgit Bierlein, die vom österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen als Staatsoberhaupt ernannt wird. Es ist wahrscheinlich noch zu früh, um darüber zu spekulieren, ob Bierleins Übergangsregierung länger im Amt sein wird als Bastis Regierung auf Ibiza. Es ist sicherlich ein mögliches Ergebnis.

Bastis ÖVP/FPÖ-Koalitionsregierung von 2017/19 war auch eine historische Regierung, in dem die eine der kürzesten Zeit im Amt seit Jahrzehnten hatte. Es wurde von einem Strom von Skandalen geplagt, von denen viele mit dem zu tun hatten, was ironischerweise als "Einzelfälle" bekannt wurde, bei denen Mitglieder der FPÖ entdeckt wurden oder sich als Anhänger einer radikalen Ideologie outen, die nicht mit einer demokratischen Regierung und Politik vereinbar ist. Als Beispiel: Oberösterreichs Landessenator Elmar Podgorschek (FPÖ):
Der oberösterreichische FPÖ-Landesrat Elmar Podgorschek ... hält [Juni 2018] bei der [deutschen] rechtsextremen AfD Thüringen eine Rede, in der er Ratschläge für die Machtübernahme gibt und die Institutionen der Demokratie massiv angreift. Als das öffentlich bekannt wird, sieht sich Podgorschek mit heftiger Kritik und Rücktrittsaufforderungen konfrontiert. (Mauthausen Komitee Österreich, Viele Einzelfälle = Ein Muster 02.08.2019)
In dieser Rede unterstützte Podgorschek die "orbanisierung" der Presse, einen Verweis auf die gegenwärtige autoritäre Regierung Ungarns und ihre Praxis, einen Großteil der ungarischen Medien unter die Kontrolle regierungsweiter Oligarchen zu bringen. Podgorschek wurde 2019 öffentlich und erfolgreich unter Druck gesetzt, wegen dieses Vorfalls von seinem Amt im Landtag zurückzutreten.

Ich war dieses Jahr überrascht, dass ein Skandal, den ich für den schwerwiegendsten hielt, bei der diesjährigen Nationalratswahl tatsächlich keine prominente Rolle spielte. Das war eine Aktion des FPÖ-Innenministers Herbert Kickl im Jahr 2018, bekannt als die "BVT-Affäre", bei der er eine ungewöhnliche Polizeirazzia gegen das Sicherheitsbüro im eigenen Ministerium organisierte, eine Aktion, die dazu führte, dass einige europäische Nationen ihre Zusammenarbeit mit Österreichische Geheimdienste aus Angst, Österreich könne Quellen und Methoden nicht ausreichend schützen, begrenzt hatten.

Der Auslöser, der den Sturz von Bastis rechts-rechts-Regierung in Gang setzte, war das, was schnell als „Ibiza-Skandal“ bekannt wurde, der im Mai ausbrach. Deutsche und österreichische Reporter enthüllten ein Video, das zwei hochrangige Vertreter der FPÖ zeigte, darunter Vizekanzler Heinz-Christian Strache, der einer Frau korrupte Geschäfte und illegale Pläne vorschlug, die sie für die Nichte eines russischen Oligarchen hielten. Der Meeting fand in eine Villa auf der beliebten Ferieninsel Ibiza statt. Das Video wurde 2017 vor der Wahl in diesem Jahr gedreht, als Strache noch Oppositionsführer war. (Beide wurden noch nicht wegen Rechtsverstößen im Zusammenhang mit dem Video verurteilt.) Frederick Obermaier und Bastian Obermayers Buch Die Ibiza-Affäre (2019) beschreibt das Ibiza-Treffen und die Aufdeckung des Skandals.

Dies veranlasste Kritiker von Bastis Regierung 2017-19, sie als "Ibiza-Regierung" und die FPÖ als "Ibiza-Partei" zu bezeichnen.

Auf den Zerfall von Bastis türkis-blauer Regierung folgte eine erbitterte Polemik zwischen ÖVP und FPÖ. Selbst wenn die FPÖ bei dieser Wahl nicht so wenig Stimmen gehabt hätte, wäre es eine echte Herausforderung gewesen, eine neue Ibiza-Koalition zu bilden.

Die wahlnächtliche gängige Meinung unter österreichischen Kommentatoren war, dass eine ÖVP-Grüne Koalition die plausibelste ist. Aber doch ist das keineswegs eine einfache Verhandlung. Basti hat deutlich gemacht, dass er die grundsätzlich harte rechte- und Einwanderung-feindliche-Politik seiner Ibiza-Regierung fortsetzen will. In seinen ersten Kommentaren nach der Wahl gegenüber dem ORF-Nationalnachrichtendienst äußerte sich Grünen-Parteichef Werner Kogler zurückhaltend zu einer Koalition und betonte, die Grünen wollten sich "radikal" von der Politik der Regierung auf Ibiza abändern. Bastis Klimapolitik ist ein schlechter Witz. Und er war als Kanzler eindeutig demagogisch anti-immigrantisch, auch im Wahlkampf 2019. Die Grünen waren klar die einwanderungsfreundlichsten der fünf Parteien des neuen Nationalrats. Die Grünen haben gerade ein großes Comeback erlebt. Und bei der diesjährigen EU-Wahl waren die Grünen die beliebteste Partei unter den österreichischen Wählern unter 30 Jahren. Basti wird ihnen ein sehr gutes Angebot machen müssen, um die Vorteile einer Regierungsbildung über die Risiken zu überwiegen, in einer konservativ geführten Regierung unter seiner Führung zu gehen.

Regierungskoalitionen aus ÖVP und SPÖ regierten Österreich während eines großen Teils der Existenz der Zweiten Republik. Aber das war in einer Parteiformation, die im Wesentlichen aus diesen beiden Parteien und der FPÖ bestand. Nun verkomplizieren Grüne und NEOS dieses Bild. Wie die Grünen wird auch die SPÖ ausrechnen müssen, ob die möglichen Vorteile eines Juniorpartners von Bastis ÖVP in der Regierung die mit hoher Wahrscheinlichkeit verbundenen politischen Verluste überwiegen würden. Das Beispiel Deutschland, wo ihre Schwesterpartei SPD hinter die Grünen zurückfällt, wird (und sollte!) in ihrer Betrachtung groß.

Basti hat 2017 eine Koalitionsregierung mit den Sozialdemokraten und in diesem Jahr eine mit der rechtsextremen Partei zu Fall gebracht. Er sieht also nicht gerade wie der ideale Koalitionspartner für irgendjemanden aus.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der Wahl. Die Aura der "Wunderwuzzi", die Basti mit vielen Journalisten hatte, die es besser hätten wissen sollen, wurde durch diese Kampagne stark getrübt. Und die neue SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner schockierte die Presse nicht nur mit ihrem Wahlkampf, sondern schaffte es, das enttäuschende Ergebnis der SPÖ wie einen mitreißenden Aufruf zur Intensivierung des Kampfes klingen zu lassen. Das starke Grüne Votum im Vergleich zu 2017 war zu einem großen Teil darauf zurückzuführen, dass die Wähler von der SPÖ zu den Grünen wechselten.

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