Aber es gibt auch Teile, die eine Vorstellung von der Verwendung der Einwanderungsfrage durch die Regierung vermitteln.
Schutz gilt es primär so nahe wie möglich an der Herkunftsregion zu ermöglichen.Das heißt: Flüchtlinge so weit weg von Österreich wie möglich halten.
Dafür braucht es nachhaltige Beiträge zur Reduktion von Flucht- und Migrationsursachen, wie z.B. die Unterstützung in Herkunftsländern, um Lebensperspektiven vor Ort zu schaffen.Das ist nicht viel mehr als ein schlechter Witz. Österreich wird kein massives neues Entwicklungshilfeprojekt für den Nahen Osten und Nordafrika auf den Weg legen. Oder die EU dazu zu drängen. Auch Kurz' Regierung wird die EU nicht dazu drängen. Dies ist kein Thema, das regelmäßig in großen Publikationen oder Nachrichtensendungen auftaucht.
Und da nur wenige Menschen wissen, wie Entwicklungsprojekte in Libyen, Sudan, Nigeria, Syrien oder dem Irak funktionieren würden oder was der tatsächliche Bedarf ist, kann dieser Vorschlag selbst in privaten Gesprächen im Stammtisch oder anderswo selten über die grenzen-dicht-Version im Regierungsprogramm hinausgehen.
Oder anders gesagt, die normale Diskussionen gehen wie folgt vor: "Was wir brauchen, ist Entwicklungshilfe in den Heimatländern." "Ja, das muss wirklich passieren. Aber man muss sich fragen, warum diese Länder in einem so schlechten Zustand sind." "Ja, es liegt daran, dass sie so korrupt sind. Die Politiker nehmen das Geld und kleben es auf ihre Schweizer Bankkonten." "Mehr Hilfe hilft ihnen sowieso nicht."
Wenn Österreicher über andere Länder sprechen und das Wort "Korruption" auftaucht, bedeutet das meiner Erfahrung nach: "Ich weiß nichts anderes über dieses Land." Ohne aktive politische Anstrengungen einer oder mehrerer politischer Parteien, unterstützungsbedürftiger zu werden, bedeutet diese Aussage wie im Regierungsprogramm also auch: Flüchtlinge so weit weg von Österreich wie möglich halten.
Auf jeden Fall erfordert eine sinnvolle Entwicklungshilfe für Libyen, Syrien und den Irak politische Stabilität und ein Ende militärischer Konflikte. Österreich unternimmt auch wenig Anstrengungen, um die Friedensbemühungen für die EU in dieser Region zu fördern.
Und in Syrien zum Beispiel ist der Zustand düster (Synaps-Syrien-Team, „Überleben in Syrien“ Le Monde diplomatique Deutsch Januar 2020):
Syrien befindet sich in einem ökonomischen Überlebenskampf, der alle Hoffnung auf eine baldige Erholung des Landes zunichtemacht. Die Regierung in Damaskus hat zwar militärisch gewonnen, aber an der Wirtschaftsfront steht sie vor enormen Problemen. Der ausgehöhlte Staat muss sich zunehmend durch Bestechungsgelder und die Ausplünderung der eigenen Bürger finanzieren. Dabei ist er nicht einmal in der Lage, die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Auf diese Weise kann sich zwar das System über Wasser halten, aber zugleich wird die Basis für einen wirtschaftlichen Neubeginn untergraben.Aus dem Regierungsprogramm:
Außerdem muss ein effizienter und menschenrechtskonformer EU Außengrenzschutz sichergestellt und Schlepperei wirksam bekämpft werden. In Österreich gilt es rasche und qualitativ hochwertige Asylverfahren sicherzustellen.Das Schlüsselwort hier ist Außengrenze. Das bedeutet die Außengrenzen der EU. Das heißt, das Dublin-System ist in Ordnung, und wir wollen Italien, Griechenland und Spanien die Hauptverantwortung für Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und Nordafrika übertragen. Das heißt, ohne aktive politische Anstrengungen einer oder mehrerer politischer Parteien, Unterstützung für mehr Auslandshilfe aufzubauen, bedeutet diese Aussage wie im Regierungsprogramm auch: Flüchtlinge so weit weg von Österreich wie möglich zu halten.
Denn das "schnelle und qualitativ hochwertige österreichische Asylverfahren" ist so gut wie bedeutungslos, solange die Regierung Flüchtlinge so weit wie möglich von Österreich fernhalten kann.
Im Programm steht auch:
Österreich wird in Zukunft die Fragen von Flucht und Migration sauber trennen. Dazu braucht es eine Migrationsstrategie für sichere, geordnete, reguläre und qualifizierte Migration im Interesse Österreichs und im Interesse der Betroffenen.Auch im Grunde Propaganda. Dies und der weitere Abschnitt "Qualifizierte Zuwanderung" lassen es so klingen, als ob die einzigen Zuwanderer, die Österreich brauchen könnte, ein paar Ärzte und vielleicht ein oder zwei Informatiker sind. Das ist überhaupt nicht der Fall. Und dass Flüchtlinge keine Menschen miteinbeziehen, was gar nicht stimmt. Der Einsatz von "Migranten" statt Zuwanderern oder Immigranten oder Flüchtlingen ist typisch für türkis und blaue Sprache. Die Idee ist, dass sie nur wandernde Horden sind und den Unterschied zwischen freiwilligen Einwanderern und Flüchtlingen zu verschleiern.
Wer an der EU-Außengrenze bei der illegalen Einreise gestoppt wird, wird versorgt und unter Einhaltung des Völkerrechts und der Genfer Flüchtlingskonvention in sein Herkunfts- oder das Transitland (oder sicheren Drittstaat) zurückgebracht.Österreich steht nicht an der Außengrenzen der EU, also ist dies ideologische Rhetorik. Der Teil "und unter Einhaltung der Völkerrechts und der Genfer Flüchtlingskonvention" ist Flaum. Dies ist bereits durch die zitierten internationalen Gesetze geregelt.
Und die Verteilung von Flüchtlingen auf EU-Länder zur Bearbeitung in Routinezeiten oder Krisenzeiten wie 2015-16? Sie sind dagegen:
Mechanismen zur Verteilung von Migranten/Asylwerbern innerhalb der EU sind gescheitert. Österreich setzt daher keine Initiativen in Richtung Verteilungsregeln.Der neue Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) betonte (Österreich nimmt seine Teilnahme am EU-Umsiedelungsprogramm ("Resettlement") nicht wieder auf. Österreichische Nachrichten 23.01.2020):
"Wir werden der EU-Kommission melden, dass wir keine Personen nehmen", teilte eine Sprecherin von Innenminister Karl Nehammer (VP) mit. Österreich hatte ab 2015 über drei humanitäre Aufnahmeprogramme insgesamt 1900 Flüchtlinge – alle aus Syrien – aufgenommen. Die frühere türkis-blaue Bundesregierung setzte das Resettlement-Programm Anfang 2017 aus. ...Österreichs neue EU-Ministerin Karoline Edtstadler bekräftigt diese Position. (Edtstadler in Migrationsfrage gegen "Drüberfahren" über EU-Staaten Oberösterreichische Nachrichten 14.01.2020):
"Resettlement" heißt, Flüchtlinge werden in Krisengebieten von internationalen Organisationen wie dem UNO-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) für die Umsiedlung ausgewählt. Brüssel will insgesamt über 30.000 Flüchtlinge aus Krisenländern über Resettlement in die EU bringen.
Es gehe nicht an, über "Staaten drüberzufahren", meinte Edtstadler Montagabend in der ZiB2. Stattdessen solle jeder EU-Mitgliedsstaat einen Beitrag leisten, etwa durch Verstärkung des Außengrenzschutzes.Auch der Außenminister nimmt eine harte Linie (Außenminister Schallenberg: Kein Beitritt Österreichs zu UN-Migrationspakt Standard 12.01.2020):
Auf die Frage von Moderator Armin Wolf, worin in dieser Frage der Unterschied zwischen früherer und jetziger Koalitionsregierung bestehe, ging die EU-Ministerin nicht direkt ein. Sie verwies darauf, dass Österreich eine sehr hohe Belastung durch einen hohen Anteil an Asylverfahren habe. Man wolle sich auch nicht am Resettlement-Programm beteiligen, bekräftigte Edtstadler entsprechende Aussagen von Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP).
Österreich wird auch unter Türkis-Grün nicht dem UN-Migrationspakt beitreten. "Die Linie Österreichs in dieser Frage wird völlig unverändert bleiben", sagte Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) in einem Interview mit der APA. ...Kurz selbst nutzte ein Treffen der Visegrad-Gruppe (Polen, Ungarn, Slowakei, Tschechien), um seine einwanderungsfeindliche Position zu stärken. (Kurz und die Visegrad-Staaten: Nur beim Migrationskurs im Gleichschritt Oberösterreichische Nachrichten 17.01.2020)
"Ich halte das für den völlig falschen Weg, der nur das Geschäft der Schlepper fördert", sagte Schallenberg zur Forderung der EU-Kommission, im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge aufzunehmen. Auch von einer Wiederaufnahme des Resettlement-Programms der Vereinten Nationen hält Schallenberg nicht viel. ...
"Ich bin über diese Aussagen nicht glücklich", sagte die grüne Abgeordnete Ewa Ernst-Dziedzic zum STANDARD. Den Positionen ihrer Partei entsprächen Schallenbergs Festlegungen nicht. Im Regierungsprogramm seien jedoch "Bekenntnisse zu den Menschenrechten und zum Multilateralismus" enthalten, wodurch es sich vom früheren türkis-blauen Koalitionspakt unterscheide.
Zumindest beim Migrationskurs herrscht weiterhin Einigkeit zwischen Österreich und seinen östlichen Nachbarn. Kurz bleibt wie die Visegrad-Gruppe beim Credo "Grenzen dicht" und bei seinem Nein zu EU-weiten Aufteilungsquoten für Flüchtlinge, obwohl in diesem Punkt seine neuen Partner, die Grünen, anders denken. Was Ungarns Regierungschef Viktor Orbán ein abschließendes Kompliment abrang: "Österreich ist der natürliche Partner der Visegrad-Staaten."
Doch in Davos konzentrierte sich Kurz darauf, die Idee einer grünen Wirtschaft zu höhnen. Er warne davor, wie grüne Ideen einen "gescheiterten" Kollektivismus - vermutlich mit Bezugnahme auf kommunistischen Staatsozialismus - "Leid, Hunger und unglaubliches Elend " hervorbringen würden. (Kurz warnt in Davos vor Comeback des Kollektivismus Standard 24.01.2020)
Merkwürdig war es, dass er vermied, Einwanderungsfragen zu betonen. Und er hat sich sicherlich nicht für eine faire Revision des Dublin-Systems ausgesprochen!
Interessante Beobachtung: Beim Auftritt von Kanzler @sebastiankurz beim #WEF2020 in Davos kamen die Wörter illegale Migration, Außengrenzschutz, Geschäft der Schlepper, keine Verteilung von Asylwerbern nicht vor https://t.co/kQlqJoTpEa
— Thomas Mayer (@TomMayerEuropa) January 24, 2020
Teil 1: https://brucemillerca.blogspot.com/2020/01/die-eu-und-immigration-teil-1-von-3.html
Teil 2: https://brucemillerca.blogspot.com/2020/02/langfristige-herausforderungen-der-eu.html
Teil 3: https://brucemillerca.blogspot.com/2020/02/langfristige-herausforderungen-der-eu_5.html
No comments:
Post a Comment