Monday, May 27, 2019

Österreich: EU-Wahlen und Sturz einem Kanzler

Österreich hat am Sonntag seine EU-Parlaments-Wahlen abgehalten, wobei die christ-demokratische ÖVP die beste Parteileistung abgab. Die Ergebnisse wurden zunächst als Enttäuschung für die drittstelle FPÖ und als Rückschlag für die rechtsextreme FPÖ gemeldet.

Dann stimmte am Montag der Nationalrat dafür, Sebastian Kurz zum ersten österreichischen Bundeskanzler in der österreichischen Zweiten Republik zu machen, der durch ein parlamentarisches Misstrauensvotum aus dem entfernt wird. Sie werden im Amt bleiben, bis der Präsident die Aufzeichnungen der Nationalratsitzung formell annimmt und die Regierung formell abschafft.

Wenn man die Zahl der Sitze, die die Parteien bei der EU-Wahl errungen haben, mit ihren bisherigen vergleicht, dann ist das Ergebnis, dass die ÖVP einen Sitz von den Grünen und einen von der FPÖ geholt hat. Angesichts der besonderen Umstände sehe ich nicht, wie das ein großer Verlust für die SPÖ ist. Der bisherige SPÖ-Kanzler Christian Kern war ziemlich neu in einer explizit politischen Rolle, als er Kanzler wurde. Und er hatte während seiner Kanzlerschaft das Pech, mit Den Nachwirkungen der Flüchtlingskrise 2015/16 fertig werden zu müssen. Und wurde nicht dabei als gut wahrgenommen. Sein Außenminister Sebastian Kurz nutzte die Gelegenheit, um die SPÖ-ÖVP-Große Koalition zu stürzen und katapultiert sich in den Kanzleramt im Alter von 31 Jahren auf ein einwanderungsfeindlicher Thematik und mit der FPÖ als Koalitionspartner.

Die letzten anderthalb Jahre haben gezeigt, wie schlecht Kanzler Milchgesicht für die Kanzlerschaft vorbereitet war, und einmal mehr bewiesen, was für ein miserables Desaster die FPÖ ist.

2018 schien Christian Kern in seine Rolle als Oppositionsführer als SPÖ-Chef aufzuwachsen. Doch er entschloss sich unerwartet, 2018 zurückzutreten und Pamela Rendi-Wagner übernahm als Parteichefin die erste weibliche Parteivorsitzende in der Geschichte der SPÖ. Sie war auch relativ unerfahren im politischen Amt. Sie scheint doch in den letzten anderthalb Wochen während der Regierungskrise, dessen Ursache der verblüffende Versagen im Kanzleramt war, den Fokus auf Kurz‘ Verantwortung zu behalten und seinen Versuch, sich als gesegnet mit einem Zweite politische Unbefleckte Empfängnis darzustellen. Weil er wirklich ein äußerst opportunistischer fremdenfeindlicher Politiker ist, der sich nur für die Demokratie und ein wackeliges Bekenntnis zur Europäischen Union einsetzt.

Die österreichische Qualitätspresse in Print und Fernsehen ist nicht annähernd so weit kriecherisch vor oligarchischen Interessen in der Politik wie ihre amerikanischen Kollegen. Doch ihre erste Reaktion auf die EU-Wahl in Österreich schien zu sehr von einer Erzählung über SPÖ-Versagen und Rendi-Wagner-Schwäche abhängig zu sein.

Diese Standard Bericht über die österreichische EU Wahl on the Austrian EU election (Kurz lässt sich feiern, Rote zweifeln an sich und ihrer Chefin 26.05.2019) sagt:
Die SPÖ stagniert, konnte keine zusätzlichen Stimmen gewinnen. Außerdem habe man die eigenen Wähler nicht ausreichend mobilisieren können, ärgerte sich der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Er sprach bereits am frühen Abend von einer "klaren Wahlniederlage". Entnervt ist man auch in Kärnten. Landeshauptmann Peter Kaiser sah ein "schmerzhaftes und schwer nachvollziehbares Wahlergebnis". Dass er die Frage, ob Parteichefin Pamela Rendi-Wagner zur Disposition steht, nicht mit einem klaren Nein beantwortet, darf alarmieren. Kaiser erklärte nur, er sei "gegen Hüftschüsse". ...

Parteiintern und in den Medien geht bereits die Debatte um eine personelle Neuaufstellung los. Rendi-Wagner wird massiv infrage gestellt .... Die Frage ist nur: Entscheidung jetzt oder eine wochenlange, aufreibende Debatte.
Doskozil ist der derzeitige Landeshauptmann (Governor) des Burgenlandes und grundsätzlich ein Rechter innerhalb der SPÖ. Er nahm eine drakonischere Haltung zu Flüchtlingen ein als der (inzwischen frühere) Verteidigungsminister der FPÖ, Herbert Kickl. Er war in einer Koalition mit der FPÖ im Burgenland, die er nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos für ein Ende entschied. Doch in diesem Interview von Ende vergangener Woche macht er ziemlich deutlich, dass er sich nicht darüber gefreut habe, die Koalition beenden zu müssen. Sehr kritisch sieht er auch Kurz, weil er das abstoßende Kickl als Innenminister erst nach den Wahlen im Herbst verlassen wollte! "Warum muss aus Sicht der ÖVP der Innenminister gehen? Das war vollkommen unverständlich für mich." Und er wendet sich im Wesentlichen gegen die Unterstützung der SPÖ für ein Misstrauensvotum, um Kurz aus der Kanzlerschaft zu entfernen, indem er eine Version des Arguments von Nancy Pelosi gegen die Amtsenthebung Trumps verwendet, "Ich glaube sogar, dass die ÖVP sehr zufrieden ist damit. Kurz ist in der Dynamik des Märtyrers, des Staatsmannes, er kann die Opferrolle einnehmen." Das ist ein lächerliches Argument. Und offensichtlich von den SPÖ-Mitglieder des Nationalrats mit ihrer Abstimmung am Montag ablehnten.

Der ausgezeichnete ORF-BV-Journalist Armin Wolf, der derzeit eine Art österreichischer Walter-Cronkite-Figur ist, betonte in seiner Wahlabends-Berichterstattung, was er als Niederlage für die SPÖ anssieht. Der Herausgeber des ebenfalls ausgezeichneten, linksgerichteten Wochenblatts Falter , das für die FPÖ zu den wichtigsten Buhmännern zählt und nicht als ein besonderer Freund der ÖVP angesehen wird, twitterte:


Er macht aber auch auf einen Schlüsselfaktor bei den EU-Wahlergebnissen aufmerksam:

Natascha Strobl, eine politische Analystin, der Spezialist für rechsextreme Politik ist, schreibt von Kurz' Selbst-Darstellung von der letzten Woche oder so, "Die ÖVP spielt hier auf der Klaviatur der extremen Rechten und versucht Kurz außerhalb des politischen Systems zu stellen und unantastbar zu machen."

Kurz' informale Fraktion der ÖVP wird als "türkis" bezeichnet, um sie von der traditionellen ÖVP zu unterscheiden, deren Parteifarbe schwarz ist. Die türkise Kurz-Fraktion, zu der auch Milchgesicht selbst gehört, zeichnete sich durch eine mildere, höflich vorgetragene Version der FPÖ-Hardliner-fremdenfeindlichen Politik aus, einschließlich der Positionierung gegen die EU. Die ÖVP war historisch gesehen die Partei, die am stärksten mit der Fürsprache für die EU identifiziert wurde. Bei dieser EU-Wahl war langjähriges Mitglied des Europaparlaments Othmar Karas, der für eine traditionellere pro-europäische Botschaft einsetzte. Kurz versuchte, Karas‘ Botschaft nachzugeben, indem er eine Neuverhandlung der EU-Verträge forderte und eine dumme Beschwerde über eine EU-Verordnung für Lebensmittelunternehmen vorlegte, die von ihnen verlangt, Pommes so zu kochen, dass die krebserregende Chemikalie Acrylamid nicht produziert wird.

Dieser Stunt drohte, den Chancen des ÖVP-Tickets zu schaden. Doch unter den seltsamen Bedingungen, die durch den Ibiza-Video-Skandal hervorgerufen wurden, bedeutete es, dass sie unglücklichen FPÖ-Wählern eine "türkisfarbene" ÖVP-Option beschert und unglückliche Kurz-Anhänger eine "schwarze" pro-europäische ÖVP-Option befürworteten. Diese Wahlanalyse aus Standard zeigt, dass es der ÖVP bei dieser EU-Wahl erfolgreicher war, ihre Stimmen zu stellen als bei der letzten (Wählerströme: ÖVP mobilisiert Nichtwähler und gewinnt von FPÖ dazu 27.05.2019):
Die ÖVP konnte laut Wählerstromanalyse bei dieser Wahl den größten Anteil ihrer Wählerschaft halten: Etwa 90 Prozent der ÖVP-Wähler (etwa 686.000) aus dem Jahr 2014 haben wieder ihr Kreuz bei der ÖVP gemacht. Gewonnen hat die ÖVP vor allem von damaligen Nichtwählern oder noch nicht Wahlberechtigten – rund 387.000 Stimmen oder elf Prozent dieser Gruppe. Weiters sind etwa 19 Prozent (105.000) der damaligen FPÖ-Wähler zur ÖVP gewechselt.

Der SPÖ hielten 85 Prozent ihrer Wähler die Treue, das entspricht etwa 579.000 Stimmen. Von und zu anderen Parteien gibt es aus SPÖ-Perspektive keine nennenswerten Ströme, allerdings erhält sie rund 225.000 Stimmen von Personen, die 2014 nicht gewählt haben. Im Gegenzug verliert die SPÖ an die Gruppe der Nichtwähler einige wenige ehemalige Wähler (rund 46.000). Dass die SPÖ wohl trotzdem leicht schlechter abschneidet als bei der letzten Wahl, ist der höheren Wahlbeteiligung geschuldet. [meine Hervorhebung in Kursivschrift]
Mit Blick auf das heutige parlamentarische Misstrauensvotum beschloss die SPÖ Sonntagabend, die komplette Regierung, die Kanzlerin und alle Minister und nicht nur Bundeskanzler Kurz, wie es die kleine Jetzt Partei vorgeschlagen hatte, zu streichen. Das ermöglichte es der SPÖ, das Thema zu definieren und zeigte ihre Bereitschaft, eine Kampf gegen den gescheiterten Kanzler zu stellen.

Obwohl ich hier argumentiere, dass die Berichterstattung über die Leistung der SPÖ bei der EU-Wahl ein bisschen schlampig war, sehe ich nicht die Bemühungen der SPÖ, weiter zu wachsen, als einfach zu erreichen. Viele sozialdemokratische Parteien in Europa laufen Gefahr, zu Klein-Parteien zu werden. Das war bei dieser EU-Wahl in Griechenland und Frankreich der Fall. Die SPÖ umarmte die gleiche Art von neoliberalem, Budget-ausgleichenden, privatisierenden, Hebert Hoover/Heinrich Brüning ökonomische Politik, die Oligarchen glücklich macht, so wie es andere in Europa taten. Aber die Oligarchen sind der natürliche Wahlkreis der konservativen, Mitte-Rechts-Parteien und zunehmend rechtsextremen Parteien. Die mitte-linken Parteien waren jahrzehntelang die größten Parteien der Arbeiterklasse. Ihre traditionellen Wähler sind von solchen Politiken geschädigt. Das ist kein gutes Bild für die Sozialdemokraten in Europa als Ganze, auch wenn einige sozialdemokratische Parteien wie die in Spanien immer noch Stärke zeigen.

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