Wednesday, May 22, 2019

Kann Sebastian Kurz es schaffen, Kanzler Österreichs für eine Woche länger zu bleiben? [Korregiert 23.05.2019]

Für ein Nachrichten-Junkie ist es ein Traum, der politischen Krise in Österreich zu folgen. Vor allem, da Österreich starke genug demokratische Institutionen hat, die selbst eine historisch dramatische Regierungskrise ohne Straßenkämpfe oder Schlachten zwischen Milizen durchzukommen können. Solche Gruppen hatte Österreich in den 1920er und 1930er Jahren.

Ab diesem Punkt hat die rechtsextreme FPÖ der Regierung von Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) ihre Unterstützung entzogen. Kurz hat mit Erlaubnis des Präsidenten und Staatschefs Alexander Van der Bellen den Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) aufgekündigt. Es ist das erste Mal in der Geschichte der aktuellen Österreichischen Republik nach 1945, dass ein Bundesminister aufgekündigt wird, anstatt einen Rücktritt einzureichen.

Alle verbliebenen FPÖ-Minister sind am Montagabend zurückgetreten. Einzige Ausnahme ist die Außenministerin Karin Kneissl, die als "nah" an der FPÖ gilt, obwohl sie technisch nicht Mitglied ist, und sie wurde von der FPÖ-Führung empfohlen. Kurz ' 2017 Koalitionsvertrag mit der FPÖ beteiligt daran, ihnen das Innenministerium (innere Sicherheit), Verteidigung, Justiz und Auswärtige Angelegenheiten zu geben. Van der Bellen verweigerte, alle drei Sicherheitsbehörden der FPÖ zu erlauben und so ging Justiz an die ÖVP.

Warum Kneissl geblieben ist, ist unklar. Es kann sein, dass sie den Posten einfach nicht aufgeben wollte. Oder dass die FPÖ wollte, dass sie bleibt, obwohl die wollte, dass alle FPÖ-Mitglieder ausscheiden. Kneissl ist vor allem dafür bekannt, dass sie Wladimir Putin im vergangenen Jahr zu ihrer Hochzeit eingeladen hat und sich buchstäblich auf ihr Knie vor ihm beugt.



Van der Bellen nahm am Mittwoch vier von Kurz vorgeschlagene "Experten" zur Besetzung der frei werdenden Stellen an. (Karl Ettinger et al, Die Neuen - ein Wink in Richtung SPÖ Wiener Zeitung 22.05.2019)

Aber es ist durchaus möglich, dass Kurz selbst durch ein Misstrauensvotum im Parlament aus der Kanzlerschaft entfernt wird. Das würde bedeuten, dass Van der Bellen für die Übergangszeit vor der Wahl im September und unmittelbar danach, während eine neue Regierung gebildet wird, einen neuen Kanzler ernennen könnte. Das ist in parlamentarischen Demokratien nicht häufig, aber auch nicht ungewöhnlich. Es wäre aber das erste Mal in Österreichs Zweiter Republik. Der neue Kanzler müsste österreichischer Staatsbürger sein, aber kein Abgeordneter.

Kurz ist der Shooting-Star der österreichischen Politik. Während der Einwanderungskrise 2015-16 stellte Kurz sich selbst als Österreichs Retter von den beängstigenden Ausländern und von Angela Merkel dar. Es war eine Scheinleistung. Der Flüchtlingszustrom wurde 2016 durch Merkels Deal mit der Türkei gebremst, nicht durch die "Schließung der Balkanroute", für die Kurz Anerkennung fand. Anschließend hatte er die ÖVP aus ihrer Koalition mit der SPÖ (mitte-links Sozialdemokratische Partei) ausziehen lassen.

Im Wahlkampf 2017 setzte er sich grundsätzlich für eine ÖVP/FPÖ-Koalition ein. Ich habe 2017 an einer Live-Debatte in Linz der drei Kanzler-Kandidaten - Kurz, Strache und der damalige Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) - besucht. Auffallend war, dass Kurz und Strache auf ernsthafte Kritik untereinander verzichteten. Es zeigte sich auch, dass Strache am erfahrensten war, als es sich mit dieser Art von Wahlkampf gemütlich machte. Er präsentierte ein gemäßigtes (für ihn) Gesicht und war deutlich bequemer darin, vor dem Publikum zu sein und sich mit einem Publikum zu verbinden. Kurz selbst hatte damals 31 Jahren und als er im Dezember 2017 Kanzler wurde. Er setzte sich für Fremdenfeindlichkeit ein und war froh, eine Koalition mit der FPÖ zu bilden, wohl wissend, wer und was sie sind.

Kurz ist besessen von Nachrichtenkontrolle und scheint enormes Vertrauen in seine Fähigkeit zu haben, sich über Nacht in der Öffentlichkeit neu zu erfinden. Dieser Artikel der Financial Times vom Januar 2019 zeigt, dass es ihm gelungen ist, ein Gleichgewicht zu wahren, indem er pro-europäischen Konservativen und rechtsextremen Xenophoben nachgab.
Doch seine Regierung stürzte in der letzten Woche spektakulär ab. Und nun posiert er als Retter des Landes aus dem Schlamassel, das er selbst geschaffen hat, indem er die FPÖ in die Regierung aufnimmt und nicht in der Lage war, ihr Handeln zu kontrollieren, nicht einmal, um sie an seiner bevorzugten öffentlichen Botschaft zu festhalten.

Das ist für ihn eine neue Herausforderung. Er hat auf dem einwanderungsfeindlichen Pferd in Zusammenarbeit mit der FPÖ ins Kanzleramt geritten. Doch Kurz selbst führt nicht gut bei nicht-inszenierten Auftritten vor Publikum oder der Presse aus. In dieser letzte Woche ging er wieder in den Wahlkampfmodus und tat so, als könne er sich mitten in seiner eigenen Katastrophe sofort neu erfinden. Er hat sich nach seinen öffentlichen Auftritten in dieser Woche geweigert, Fragen aus der Presse zu nehmen, und gab ein Pressegespräch nur einem freundlichen Reporter der deutschen Boulevardzeitung Bild-Zeitung . [Korrektur: 23.05.2019: Kurz nahm nach seiner Ankündigung am Mittwochnachmittag Fragen aus der Presse 22.05.2019] Aber er hat nicht überzeugend behaupten können, dass er seine Verantwortung als Regierungschef ernst nimmt oder sich wirklich um seine Auswirkungen auf das Land sorgt.

Dieser Podcast aus Falter mit Armin Thurnher, Florian Klenk, Nina Horaczek und Josef Redl spricht darüber, wie Kurz sich wieder einmal als unversehrt von der Vergangenheit, einem Mann der politischen Unbefleckten Empfängnis, präsentieren will.Der türkis-blaue Absturz 21.05.2019:


Kurz darf nicht mehr viel Kanzler sein. Aber gerade jetzt setzt er sich dafür ein, bei den Wahlen im September eine neue Amtszeit zu gewinnen. Diese Analyse von Natascha Strobl auf der SPÖ-Website Kontrast.at, Die 6 rhetorischen Tricks von Sebastian Kurz in Zeiten der Krise 21.05.2019 spricht über seine sechs Grundaussagen in seiner jüngsten Neuerfindung der letzten Tage. Dies sind ihre Zusammenfassungen der sechs Botschaften, die sie aus seinen Präsentationen nimmt:
  • Ich konnte es nicht voraussehen und bin erschüttert
  • Der Bundespräsident und ich übernehmen Verantwortung
  • Die FPÖ hat das gute und gelungene Projekt zerstört
  • Die Sozialdemokratie ist genauso schlimm wie die FPÖ
  • Tal Silberstein statt FPÖ!
  • Nur mit mir wird es gut
Zum dritten Punkt: Tal Silberstein ist ein israelischer Politikberater, der 2017 für die SPÖ gearbeitet hat. Sowohl die FPÖ als auch Kurz haben ohne jeden Beweis vorgeschlagen, dass er es gewesen sein könnte, der den Lockvogelaktion auf Ibiza ins Leben gerufen hat, die Kurz in der vergangenen Woche mit dem Sturz seiner Regierung zu Fall gebracht hat. Ja, beide sind dorthin gegangen: Es musse eine Verschwörung sein, an der jemand mit einem jüdisch klingenden Namen beteiligt ist. (Siehe: Rabinovici: Kurz’ „Spiel“ mit Antisemitismus ORF 20.05.2019)

Strobl betont, dass Kurz ' Äußerungen auf eine anhaltende Bereitschaft hinweisen, mit der FPÖ eine Regierung zu bilden, vielleicht sogar eine Vorliebe dafür :
Das negative Gegensatzpaar zur FPÖ ist immer die Sozialdemokratie. Kurz lässt in keinem seiner Statements ein Hinhauen auf die SPÖ aus. Diese sei „nicht Willens“ ihn zu unterstützen und damit Verantwortung zu übernehmen. In Wahrheit bastle diese sogar an einem Linksruck in Europa, der ja eigentlich fast noch schlimmer als ein Rechtsruck sei.

Das Projekt Schwarz-Blau ist für Kurz keineswegs gescheitert oder in der Zukunft undenkbar. Er stößt sich an einzelnen Personen in der FPÖ und ihrem „Stil“, wie er betont. Er stößt sich nicht grundsätzlich am Agieren der FPÖ in Regierungsverantwortung.

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