Natürlich wäre es schön - zumindest abstrakt - wenn es einfache Antworten für Terrorismus gibt: neue Gesetze, Begrenzung der Immigration, schimpfen gegen Islam, schimpfen gegen "politischen Islam" oder "Extremismus" insgesamt, bessere Schul-Programme, civil society Engagement, bessere geheimdienstliche und Polizei-Arbeit, usw.
Diese beiden Kolumnen heben die sozialen und ideologischen Seiten des Terrorismus auf, insbesondere den muslimischen Terrorismus in Österreich: Nina Scholz, Die unterschätzte islamistische Ideologie Standard 08:11:2020; Paul Lendvai, Die Albaner und der Islamismus in Österreich Standard 08:11:2020.
Tatsächlich ist die Terrorismusbekämpfung mit einer Vielzahl von Faktoren verbunden. Sie umfasst Gerichte, Polizei, Geheimdienste, das Militär, Schulen, religiöse Institutionen, usw.
Für die Politik kann jede Art von Gewaltverbrechen unter "sozialen Bedingungen" und "Rechtsdurchsetzung" (Law and Order) diskutiert werden. Letzteres hat viel mehr Anspricht für Autoritäre. Aber beide sind in einem sehr komplizierten Netzwerk von Faktoren verbunden.
Landvai schreibt über den albanisch-nordmazedonischen Hintergrund des Wiener Angreifers Kujtim F., dessen Eltern aus Nordmakedonien stammten:
Obwohl seit dem Bürgerkrieg 2001 die albanische Minderheit in Nordmazedonien große Fortschritte auf dem Weg zur Gleichberechtigung, sogar zur Beteiligung mehrerer albanischer Parteien in der Regierung erreicht hat, trug die Benachteiligung der Minderheit vor allem unter dem Einfluss der Hassprediger auch zur Entstehung grenzüberschreitender islamistischer Netzwerke von Wien bis Winterthur in Mitteleuropa bei. Bei dem Weg der jungen Albaner vom Ethnonationalismus zu den islamischen Fundamentalisten spielten auch islamische Hilfsorganisationen nach dem Jugoslawienkrieg in Kosovo und Nordmazedonien aus dem arabischen Raum und der Türkei eine wichtige Rolle.Aber Scholz screibt:
Nichts wäre gefährlicher als die von Rechtsextremisten laut geforderte Kampagne gegen die Muslime in Österreich. Gerade das Beispiel der Radikalisierung der jungen Albaner aus Nordmazedonien und dem Kosovo bestätigt die Warnung der Politologin Nina Scholz in ihrem klugen Gastkommentar (DER STANDARD), dass die Kraft und die Gefährlichkeit der Ideologie des politischen Islams nicht unterschätzt werden dürfen. Die Albaner in Österreich sind übrigens nicht nur heterogen, sondern auch recht erfolgreich. Drei Polizisten, die gegen den Attentäter in Aktion waren, haben kosovarische Wurzeln, und der Besitzer eines der besten Wiener Restaurants ist zum Beispiel ein mit dem Ehrenzeichen der Republik ausgezeichneter albanischer Migrant aus Nordmazedonien, dessen Sohn kürzlich nordmazedonischer Umweltminister geworden ist. [meine Hervorhebungen]
Es ist die Ideologie des fundamentalistischen, politisch aufgefassten Islam, die Menschen zu Attacken wie der in Wien oder Paris antreibt, die Überzeugung, für eine durch und durch gerechte Sache zu kämpfen. Die Kraft der Idee, in diesem Fall der politisch-religiösen Überzeugung, wird systematisch unterschätzt, was angesichts der Analysen etwa der Ursachen von Gewalt im rechtsextremen Milieu verwundert, wo man sich ihrer durchaus bewusst ist und auch dem ideologischen Umfeld das Wasser abzugraben trachtet.Unterschätz? Konservative und rechte Politiker in Österreich jammern immer über "politischen Islam". Z.b., Oberösterreichischer Landeshauptmann Thomas Stelzer (ÖVP) an dem Tag dennoch:
Dannach hat er gepostet:
Diese Woche postet er in Errinerrung von dem nationalsozialischtische November-Progromm 1938:
Noch mehr Quatschen über "politischen Islam". Aber ist die ÖVP nicht schon eine "christ-demokratische" Partei? Klingt mir verdächtig wie "politisches Christentum" oder ähnliches. Aber wer wird geborene Österreicher wie der IS-Fan und Wiener Attentäter Kujtim F. "de-radikalisieren," wenn nicht andere Muslimen - y Musliminnen! - die mit einer humanen und demokratischen Version der Religion überzeugen können? Endloses Schimpfen von rechts-katholischen Politiker gegen vage Feindbilder wie "politischer Islam" - was immer das eigentlich bedeutet mag - wird das sicher nicht erreichen.
Wir Amerikaner in den letzten 30 Jahren haben viel zu viel Erfahrung mit muslimischen und – ja! – „christlichen“ Terrorismus gehabt. Der terroristische Attentat letzte Woche in Wien hat mich sehr erschüttert. Mit fünf Toten und viel verwunderte war das der schrecklichste terroristische Angriff in Österreich seit die 90er Jahren. Gleichzeitig ist leider in Amerika ein Attentat mit fünf Toten und viel verletzten eine normale Schulwoche in vor-pandemie Zeiten. Mann soll Terrorismus immer ernst nehmen und ihre Wurzeln auch. Überfläche politische Rhetorik dazu ist gar nicht hilfreich.
Österreichische Konservativen und Rechten versuchen, ihre rituellen Verurteilungen der Nazi-Gewalt mit ihrer Kritik am muslimischen Terrorismus, der Religion des Islam und Einwanderern im Allgemeinen zu verbinden. Besonders betonen die Rechten den oft typischen Antisemitismus islamischer Fundamentalisten als eine Möglichkeit zu behaupten, dass auch sie sich gegen Antisemitismus stellen, d.h.: "Wir sind gegen Antisemitismus, weil wir Muslime hassen."
Und hier ist österreichischer Kanzler Sebastian Kurz von der österreichischen christ-demokratischcn Partei (von 10.11.2020):
Kurz benutzt das auch um mit seiner Antiausländer-Botschaft zu profilieren: „Schutz der Außengrenze“ der EU im Fokus ORF 10.11.2020:
Aber es ist viel einfacher, politische Schlagworte auszusondern, als neue EU-Politiken zu entwickeln. (Jacopo Barigazzi und David Herszenhorn, Reality lags behind rhetoric in EU leaders’ push on terrorism Politico EU 11/10/2020)
Ob es sich um Menschen handelt, die durch politisch-soziale Ideologien motiviert sind, die auf einem Typ von religiösem Fundamentalismus basieren - christlich, islamisch, hinduistisch oder was auch immer - oder menschen, die auf einer säkularen Ideologie rund um Politik oder Nationalismus oder Rassismus handeln, sie wählen eine Ideologie nicht bloß aus einer mystischen Leere heraus. Und bei der Enttradikalisierung geht es nicht darum, einfach eine bestimmte Ideologie zu verurteilen oder drastischere Strafen zu verhängen oder eine erfolgreiche soziale und wirtschaftliche Integration von Einwanderern oder benachteiligten Gruppen zu bestreben. Ohne eine unkritische Zustimmung des Bundesinnenministeriums zu implizieren, vermittelt ihre formale Definition von Deradikalisierung (abgerufen am 10.11.2020) eine Vorstellung von der Breite dieses Phänomens:
Kurz benutzt das auch um mit seiner Antiausländer-Botschaft zu profilieren: „Schutz der Außengrenze“ der EU im Fokus ORF 10.11.2020:
Kurz sagte, dass es bereits viele tausend islamistische Gefährder in Europa gebe. Tausende „Foreign Terrorist Fighters“ in Europa hätten in Syrien oder dem Irak gekämpft oder die Ausreise dorthin versucht. „Viele von denen sind im Gefängnis, einige sind schon freigelassen, und die traurige Wahrheit ist, die Masse derer, die im Gefängnis ist, wird in den nächsten Jahren freigelassen werden“, sagte Kurz.Kurz umrahmt hier das innenpolitische Terrorismusproblem als eines der Ausländer, das mit einem "Grenzen dicht!"-Politik leicht gelöst werden kann. für die berühmte europäische Außengrenzen. Österreich hat natürlich keine von dieser europäische Außengrenzen. Es ist ein Problems für die Anderen. Er spricht über Bildung für Imame, „um eine Radikalisierung in Moscheen zu verhindern." Tatsächlich will er nicht der Regierung in der Türkei damit veräargern. Denn Tayyip Erdoğan kann die 3,5 Millionen Flüchtlinge in der Türkei, derzeit die größte Zahl von Flüchtlingen in jedem Land der Erde, als Keule nutzen. Wenn die EU und/oder die österreichische Regierung eine substanziellere Flüchtlingspolitik hätten, wäre dieses Erpressungspotenzial Erdoğans nicht so groß.
„Das sind tickende Zeitbomben und wenn wir unser aller Freiheit schützen wollen, dann müssen wir die Freiheit dieser Menschen einschränken“, so Kurz. Merkel betonte, es sei wichtig, mit anderen islamischen Ländern über einen Kampf gegen radikale Islamisten zu reden. Wichtig sei zudem eine Imam-Ausbildung in allen EU-Staaten, um eine Radikalisierung in Moscheen zu verhindern. [meine Hervorhebungen]
Aber es ist viel einfacher, politische Schlagworte auszusondern, als neue EU-Politiken zu entwickeln. (Jacopo Barigazzi und David Herszenhorn, Reality lags behind rhetoric in EU leaders’ push on terrorism Politico EU 11/10/2020)
Ob es sich um Menschen handelt, die durch politisch-soziale Ideologien motiviert sind, die auf einem Typ von religiösem Fundamentalismus basieren - christlich, islamisch, hinduistisch oder was auch immer - oder menschen, die auf einer säkularen Ideologie rund um Politik oder Nationalismus oder Rassismus handeln, sie wählen eine Ideologie nicht bloß aus einer mystischen Leere heraus. Und bei der Enttradikalisierung geht es nicht darum, einfach eine bestimmte Ideologie zu verurteilen oder drastischere Strafen zu verhängen oder eine erfolgreiche soziale und wirtschaftliche Integration von Einwanderern oder benachteiligten Gruppen zu bestreben. Ohne eine unkritische Zustimmung des Bundesinnenministeriums zu implizieren, vermittelt ihre formale Definition von Deradikalisierung (abgerufen am 10.11.2020) eine Vorstellung von der Breite dieses Phänomens:
Was ist Deradikalisierung?Deshalb hat Paul Lendvai vollkomment rechts, wann er schreibt, „Nichts wäre gefährlicher als die von Rechtsextremisten laut geforderte Kampagne gegen die Muslime in Österreich."
Deradikalisierung bezieht sich insbesondere auf die Arbeit mit radikalisierten Einzelpersonen, aber auch auf Personen aus deren Umfeld. Familienmitglieder, Freundinnen und Freunde, Lehrkräfte und andere nahestehende Personen sind häufig die ersten, die Anzeichen für eine Radikalisierung bemerken – und können eine wichtige Rolle dabei spielen, diesen Prozess aufzuhalten oder umzukehren.
Ziel von Deradikalisierungsarbeit ist es, dass Menschen sich nachhaltig von extremistisch orientiertem Denken und Handeln distanzieren. Hierfür unterstützen professionelle Teams in zivilgesellschaftlichen und staatlichen Institutionen nicht nur ausstiegswillige Personen mit Rat und Tat, sondern auch deren Umfeld. In diesen Teams arbeiten beispielsweise sozialarbeiterisches und psychologisches Fachpersonal, Anti-Gewalt-Trainerinnen und -Trainer, Sozialwissenschaftlerinnen und –wissenschaftler und je nach Phänomenbereich auch theologisch geschulte Expertinnen und Experten. Weitere Akteure, wie das Jugendamt oder die Sicherheitsbehörden, können ggf. eingebunden werden. Sie unterstützen dann die Deradikalisierungsarbeit mit ihrer jeweiligen Expertise. [meine Hervorhebungen]
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